„Vom Unsinn des Sinns…“ Watzlawick immer wieder neu entdecken
Ich habe nach langem mal wieder das Buch „Vom Unsinn des Sinns oder vom Sinn des Unsinns“ von Paul Watzlawick gelesen. Schon beim ersten Lesen vor ein paar Jahren hatte ich hier viele „Aha“- Momente, die mir bei meiner täglichen Arbeit- aber auch bei meiner Betrachtungsweise allgemein sehr geholfen haben.
Nach dem ich jetzt einige Zeit coache sehe ich viele Dinge mit noch mehr Verständnis und Bestätigung bei meiner Arbeit.
Da ich auch oft Menschen mit psychischen und/ oder geistigen Einschränkungen coache, fand ich die Passage “ Das Zusammenspiel von „innen“ nach „außen“spannend.
Hier beschreibt Watzlawick in einem Beispiel das Paarungsverhalten zwischen während der Invasion stationierten amerikanischer Soldaten und englischen Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg.
„Hier stießen Wissenschaftler auf einen Widerspruch. Die englischen Frauen bezeichneten die amerikanischen Soldaten als sexuell direkt. Merkwürdigerweise aber sagten die Amerikaner von den englischen Mädchen genau dasselbe.“(Watzlawik,Paul,1999,S.25)
Der Grund waren die unterschiedlichen Kulturkreise. Die Amerikaner küssten recht schnell. Im Paarungsverhalten der Engländerinen kam der Kuss im „Paarungsablauf“ aber recht spät.
Sie dachten deshalb: „der ist aber forsch!“ Entweder sind sie empört gegangen- oder haben sich ausgezogen. Bei letzterem waren die Amerikaner wieder verwundert und dachten: „na die ist aber forsch!“ – sind entweder gegangen- oder geblieben.
Es trafen also zwei Kulturkreise mit unterschiedlichen Ansichten über das Paarungsverhalten zusammen. Jeder dachte vom anderen „na holla“…..
Was dieses Beispiel mit meinen Coachings zu tun hat?
Nun ja. In unserer „Gesunden“ Weltvorstellung gibt es für bestimmte Dinge in unserem System festgelegte Abläufe. Oder Regeln, an die man sich hält. Weil man es so gelernt hat. Weil man so erzogen wurde. Deshalb ist dies unserer Wahrnehmung nach das richtige. Die Norm. Alles andere sind Abweichungen.
Mit dieser Norm- oder diesem Wert hat übernimmt man auch eine Coachinghaltung.
Ich finde, man sollte sich mal Gedanken über seine Werte machen. Über seine Coachinghaltung.
Und dazu genau dieses Beispiel von Watzlawick vor Augen haben.
Und sich die Frage stellen: sind nur meine Werte die richtigen und die anderen weichen ab? Bin ich der Amerikaner oder die Engländerin?
Wie ist as bei Menschen mit psychischen und- oder geistigen Einschränkungen?
Hier ist es leider immer noch so, dass die Außenwelt diesen Menschen in allen Lebensbereichen sagt, was richtig ist und was falsch. Sie teilweise probiert in Normen und Systeme zu pressen, in die sie aber nicht rein passen. Nicht rein wollen. Nicht rein können.
Ich habe gelernt, mir zu Beginn des Settings mit diesen Coachees das System in dem sie leben erklären zu lassen. Mit Fragen wie:“ was muss ich fühlen, um so zu fühlen wie Sie…“ oder “ was muss ich sehen, um die Fragestellung so zu sehen wie Sie“
Das bringt den Coachee zum einen dazu, über sein System genauer nachzudenken um dies verbal zu äußern. Und für mich gibt es die Chance, ein Stück weit seine Werte, seine Norm, seine Welt nachvollziehen zu können- oder zumindest grob zu erfassen. Um mich dann auch auf andere Fragestellungen einzustellen.
Bei Menschen mit geistigen Einschränkungen ist dieses Thema noch spannender. Sie können sich teilweise nicht so artikulieren, dass man ihr System erfassen kann. Hier ist die Aufstellungsarbeit ein grandioses Werkzeug dies zu erarbeiten. Für beide Seiten. Für mich als Coach um die Struktur zu verstehen, in dem ich die Regungen sehe und gezieltere Fragen zu stellen.
Für die Coachees in der Aufstellungsarbeit zu fühlen, was für sie richtig oder falsch, gut oder schlecht etc. ist. Sie spüren es. Die Gefahr, dass ich mich nicht verständlich genug Ausdrücke oder sie durch ihre Einschränkungen sich nicht äußern können und dadurch Missverständnisse aufkommen, ist beim erleben und fühlen fast nicht vorhanden.
Ich hatte während meiner Coachingsettings im Rahmen meiner Zertifikatsarbeit für die FU Berlin Coachees, die durch die Aufstellungsarbeit das erste mal in ihrem Leben ihre eigene Meinung, ihren eigenen Wunsch geäußert haben. Die geweint haben, weil sie dieses Gefühl bisher nicht kannten. Alle zuvor genannten Wünsche und Ziele waren von Betreuern, Eltern etc. vorgegebene Ziele. “ wir wissen, was für Dich gut ist“ ist immer noch ein weit verbreitetes Instrument der Lebensplanung für Menschen mit Einschränkungen.
Natürlich ist hier die Gratwanderung zwischen Coaching und therapeutischer Arbeit sehr schmal.
Vor Beginn gibt es hier auch klare Absprachen, was im Coaching erarbeitet wird und was nicht. Die Sensoren des Coaches müssen hier noch schärfer sein um gleich zu intervenieren. Um die Grenze klar zu ziehen. Um keine „Laienpsychologie“ zu betreiben.
Ich habe auch schon einmal ein Setting unterbrochen, da hier zunächst therapeutische Aufarbeitung notwendig war. Aber auch in diesem Fall hat das Coaching geholfen. Es war durch eine zu Beginn „oberflächliche Fragestellung“ der Türöffner zur Aufarbeitung eines Problems mit einem Psychologen. Die Rückmeldung vom ehemaligen Coachee ist, dass er ohne diese Coachingstunde wahrscheinlich die nächsten Jahre diesen Schritt nicht gemacht hätte.
Zurück aber zu Watzlawicks Beispiel. Welches Weltbild, welchen Wert, welche Kultur bin ich, verkörpre ich? und viel wichtiger: Welche Werte, welches Weltbild, welche Kultur ist mein Gegenüber?
Natürlich ist es einfacher von seinem System aus zu gehen. Aber zum Glück geht es im Coaching nicht um den einfachen Weg.
Sondern um den richtigen.
Um den Weg des Coachees.
Missverständnisse zwischen zwei Menschen entstehen, weil jeder von seiner Lebenswelt ausgeht – und sich oft zu wenig Zeit nimmt, die des Anderen zu verstehen. Ob Engländerin oder Amerikaner, ob Mann oder Frau, Jung oder Alt.
Wir alle profitieren von einem Plus an Achtsamkeit und davon, auch mal „die Schuhe des Anderen“ anzuziehen und damit ein paar Schritte zu tun.
Vor allem Unternehmen zahlen einen hohen Preis für Konflikte, die aus unterdrückten Auseinandersetzungen entstehen – bis hin zu inneren Kündigungen oder Dienst nach Vorschrift. Denn auch wer ohne jegliche körperliche oder sprachliche Einschränkung lebt, kann oft eines nicht: Klar und dabei wertschätzend kommunizieren.
Dabei ist der Respekt vor dem Anderen für das „Sein“ statt für das „Haben“ das Schmiermittel unserer Gesellschaft.
Liebe Frau Schöbitz,
genau so ist es. Bei meiner täglichen Arbeit stelle ich immer wieder fest, dass so viel über Kommunikation gesprochen wird, so viele Projekte zur besseren Kommunikation gestartet werden – aber das wesentliche daran fehlt – die Kommunikation untereinander. Der Perspektivenwechsel. Oft wollen Kompetenzen und Hierarchien hierbei gewahrt und betont werden. Eigene Interessen sollen durchgedrückt werden. Dies berichten Coachees aus den unterschiedlichsten Gewerben. Und die wertschätzende Kommunikation scheint hier allen am schwierigsten zu fallen. Denn oftmals glauben Führungskräfte, dass mit Wertschätzung Gehaltsverhandlungen einhergehen. Und dies bleibt nach deren Ansicht zu vermeiden. Ob es sich langfristig lohnt, motivierte Mitarbeiter so lange auf versprochene Gehaltserhöhungen hinzuhalten bis sie den Glauben an das Unternehmen verlieren und nur noch Dienst nach Vorschrift machen oder kündigen, als eine Gehaltserhöhung zu geben, bleibt fraglich.
In diesem Sinne- viel Schmiermittel für alle –
Ihr Jens Jannasch